Jenny Chapman "Only Beyond Myself"
Jenny Chapman ist Kanadierin und lebt seit 11 Jahren mit ihren beiden Töchtern in Graz. Seit knapp zwei Jahren engagiert sie sich als freiwillige Helferin sowohl in Österreich als auch in diversen Flüchtlingslagern in Italien, Griechenland, Slowenien, Serbien und Ungarn. Sie schreibt über ihre Erlebnisse und veröffentlicht diese in ihrem Blog und auf Facebook.
Die Verkaufserlöse der Fotos der Ausstellung kommen geflüchteten Familien zugute, für die Jenny Chapman sich einsetzt und die sie weiterhin in den Lagern in Griechenland und der Türkei und sogar in Pakistan und Syrien unterstützt.
Zwischen April und September 2016 reiste Jenny Chapman mehrmals nach Griechenland, um vor Ort in verschiedenen Flüchtlingslagern zu helfen. Nicht nur die menschenunwürdigen und deprimierenden Bedingungen in den Lagern machten sie betroffen, vielmehr beeindruckten sie die unzähligen lachenden Gesichter der Kinder. Das weckte ihre Neugier, was ein Kind dort wohl fotografieren würde. "Only Beyond Myself" ist das Ergebnis.
Die Ausstellung war vom 19. Oktober bis 15. Dezember 2017 in der Hochschulgalerie der Pädagogischen Hochschule Steiermark, Campus Nord, Hasnerplatz 12 (1. Stock) zu sehen.
Prof.in Mag.a Olivia de Fontana, Kuratorin der Hochschulgalerie, spricht mit Rektorin Prof.in Mag.a Dr.in Elgrid Messner, Initiatorin der neuen Hochschulgalerie, über den Wandel, das Programm in den nächsten Monaten sowie die Ausstellung "Only Beyond Myself". Hier geht es zum Video.
Der Hintergrund des Fotoprojektes
Der Hintergrund des Fotoprojektes
Während einer meiner vielen Reisen zu den Lagern in Griechenland habe ich einen Mann getroffen, der mir von einem Kameraprojekt mit Kindern erzählt hat, das in einem Flüchtlingslager in Gaza stattgefunden hat. Und als ich dann durch das damalige Lager von Idomeni – das sogenannte “Niemandsland” – spazierte, wo mehr als 8000 Flüchtlinge auf einem offenen Feld bei der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien gewartet haben, entschied ich mich in diesem Moment, hier ein solches Projekt zu machen. Ich würde nach Graz zurückkehren, so viele Kameras sammeln wie ich konnte, sie in Idomeni austeilen, in Graz drucken lassen und schließlich nach Griechenland zurückkehren, und eine Ausstellung im kulturellen Zentrum im Lager von Idomeni auf die Beine stellen, um den Kindern ihre ganze Arbeit zu zeigen. Aber eine Woche bevor ich nach Griechenland zurückkehrte, wurde das komplette Lager von Idomeni von den Behörden geräumt. Komplett mit Überfallkommando und Hubschraubern, die oben kreisten, haben sie Menschen in Busse gezwungen und sie alle in militärische Lager in ganz Thessaloniki verlegt. Flüchtlinge, die nicht in diese Lager gehen wollten, breiteten sich aus, um andere Orte, Tankstellen und Ansiedlungen entlang der Autobahn zu bewohnen, wo auch immer sie konnten.
Nach meiner Rückkehr nach Griechenland war Idomeni weg, es war deprimierend. Freiwillige am Park Hotel waren deprimiert. Ich war deprimiert. So schrecklich und hart das Lager von Idomeni auch war, es war frei gewesen. Und es gab viele Freiwillige und Gruppen, die hier hergekommen waren, um zu helfen, um Essen und Vorräte zu bringen und um mit den Kindern zu spielen. Es gab sogar ein kulturelles Zentrum. Ich hatte plötzlich mein ganzes Interesse und gar mein Verlangen verloren, das Fotoprojekt zu machen; nicht nur, weil es jetzt unmöglich war das Projekt so zu machen wie ich es mir vorgestellt hatte – viel wichtiger war, dass es sinnlos erschien, eine Art "Kunst"-Projekt bei der Stimmung zu machen, die jetzt um alle in Griechenland gefallen war. Das letzte, was jeder Flüchtling gewollt hatte, war in ein militärisches Lager gezwungen zu werden. Und so habe ich den großen Sack voll Kameras, die ich den ganzen Weg und im Flugzeug hierher geschleppt hatte, in meinen Kofferraum geworfen und fragte mich, was zum Teufel ich mir dabei gedacht hatte. Und ich habe im Laufe der nächsten acht bis neun Tage nie wieder an sie gedacht. Ich bin zu beschäftigt damit gewesen, verschiedene Familien zu besuchen und zu finden die in verschiedene Lager und Orte evakuiert worden waren, und ihnen Essen, Medizin und Babymilch zu bringen.
Die Kameras waren das Letzte woran ich dachte. Und dann, eines Morgens, als ich im Haupttagungsraum gesessen bin, habe ich zwei junge Flüchtlingsbuben beim Tisch zu meiner rechten bemerkt. Sie haben mehr als deprimiert und gelangweilt ausgesehen. Einer hatte seinen Kopf auf seine gekreuzten Arme gelegt, der andere pickte an der Farbe vom Tisch herum. Ich dachte mir, “Ok, ich könnte ihnen einfach eine Kamera geben.. wenigstens etwas zu tun". Ich war überzeugt, dass ich sie nicht mehr zurückbekommen würde, und es war mir auch egal. Außerdem war die Temperatur in Griechenland an manchen Tagen zu bis zu 40 Grad aufgestiegen, und ich war überzeugt, dass etwas vom Film wegen der Hitze im Auto geschmolzen war. Das Kameraprojekt war für mich gestorben. Aber diese zwei Jungen haben meine ganze Wahrnehmung verändert. Sofort. Ich habe gesehen, wie sie reagiert haben, sobald sie eine Kamera in ihren Händen hatten. Als ob sie jetzt nicht nur eine Weise hätten, ihre Erfahrungen einzurahmen, sondern auch eine eine Stimme, um gehört zu werden. Es hat sie einfach ermächtigt. Und die Reaktion von ihnen hat mich dazu angeregt, mehr auszuteilen an die anderen Kindern die an der Tankstelle lebten, und schließlich auch in den anderen Lagern die ich besuchte.
An einigen Plätzen habe ich kaum Kameras verteilt; Eko zum Beispiel, wo es täglich Gerüchte einer nahe bevorstehenden Evakuierung gab. Die “Touristen-Saison" war gerade um die Ecke und es war für Griechenland auf der hohen Tagesordnung, das sichtbare Flüchtlingsproblem aufzuräumen. Rückblickend bin ich sehr dankbar, dass das Leben sich so entfaltet hat. Denn anstatt Bildern von einem Lager zu haben, so wie ich es ursprünglich geplant hatte, habe ich vier verschiedene Orte – jedes von ihnen unterschiedlich in den Fotos der Kinder – wiedergespiegelt. Der Titel wurde von einem kleinen Jungen inspiriert, den ich getroffen habe, als ich eines Tages heiß, müde und ein bisschen deprimiert in Camp Hara spazieren ging. Er ist über das Feld zu mir gelaufen und fast in mich hineingekracht, mit einem Lutscher in einer Hand und einem großen Lächeln in seinem Gesicht hat er mir dann einen zweiten Lutscher aus seiner Tasche angeboten. Ich habe zu ihm heruntergesehen, und auf seinem T-Shirt stand „Only Beyond Myself “. Ich musste lächeln. Alles in allem habe ich hundertzwanzig Einwegkameras gesammelt, 100 Stück ausgeteilt, 60 Kameras wieder eingesammelt und 45 Rollen Film gedruckt. Diese Ausstellung besteht aus 42 Rollen Film, 27 Bilder pro Rolle. Vier Orte wurden fotografiert: das Softex Militärlager, das Hotel Hara, das Eko Lager und eine verlassene Tankstelle. Die fotografierenden Kinder reichten im Alter von zwei bis 14 oder 15 Jahren. Mehr als 40 Kinder haben teilgenommen. In dieser Ausstellung geht es für mich darum, die Menschen und Kinder, die sich heute als Flüchtlinge finden zu ehren. Wir ehren sie, indem wir uns Zeit nehmen in ihr leben hineinzusehen und zu -fühlen, durch ihre Augen.
The background of the photoproject
The background of the photoproject
During one of my many trips to the camps in Greece I met a man who told me about a children's camera project that took place in a refugee camp in Gaza and as I walked through the then Idomeni camp – the so-called "no-man's land" – where over 8000 refugees waited in an open field lying on the border between Greece and Macedonia, I decided in this moment to do a project like that here. I would return to Graz, collect as many cameras as I could, hand them out in Idomeni, print them in Graz and finally return to Greece to set up a display at the cultural center in Idomeni camp to show the children all their work.
But one week before I returned to Greece the entire Idomeni camp was evacuated by authorities. Complete with riot police and helicopters hovering above, they forced people onto buses and placed them all in military camps througout Thessaloniki. Refugees who did not want to go to the camps spread out, to inhabit other locations, gas stations, settlements along the highway, anywhere they could find. Upon my return to Greece, Idomeni was gone, it was depressing. Volunteers at Park Hotel were depressed. I was depressed. As horrible and hard as Idomeni camp was, it was free. And there were many volunteers and groups who came here to help, to bring food, supplies, play with the children. There was even a cultural center. I had suddenly lost all interest or even desire to do the camera project because not only was it impossible now to make the project as I had envisioned it – more importantly it seemed pointless and meaningless to make some kind of "art" project amongst this mood that had now fallen around all in Greece. The last thing any refugee had wanted was to be forced into a military camp.
And so, I threw the big sack of cameras I had lugged all the way on the plane, into my car trunk and wondered what the hell I had been thinking. And I never thought about them again over the next 8 to 9 days. I was too busy visiting and finding various families who had been evacuated to different camps and locations, bringing food, medicine, and baby milk. The cameras were the last thing on my mind. And then one morning as I sat in the main meeting room, I noticed two young refugee boys at the table to my right. They looked more than depressed and bored. One had his head down buried in his folded arms , the other was picking at paint chips on the table. I thought, "Ok I could just give them a camera, something to do at least". I was sure I wouldn't get them back and it didn't matter because besides this the temperature in Greece had soared to 40 degrees somedays and I was sure that some of the film had melted in the heat of the car. The camera project for me was a dead issue. But these two boys changed my whole perception. Immediately. I saw how they reacted as soon as they had a camera in their hands. As if they now had not only a way to frame their experience – but also a voice in some way to be heard. It empowered them simply. And the reaction from them inspired me to give out more to the other kids living at the gas station and then eventually to the other camps I visited. Some places I almost didnt hand out cameras, like Eko for example, where there were daily rumours of its imminent evacuation because "tourist season" was just around the corner and it was on high agenda for Greece to clean up the visible refugee problem.
In retrospect I am grateful and thankful that life unfolded as it did. Because instead of having images from one camp, as I had planned, I have 4 different types of locations each reflected differently through the children’s eyes and in their photos. The title for this exhibition was inspired by a little boy I met when, I walked, hot, tired and a bit depressed into Camp Hara one day. He came running across the field towards me and almost crashing into me, holding a lolipop in one hand, and a big smile on his face, offered me another lolipop from his pocket. I looked down at him and on his t-shirt it read „ Only Beyond Myself“. I had to smile.
All in all I collected one hundred and twenty disposable cameras, gave out 100, re-collected 60 and printed 45 rolls of film. This exhibition consists of 42 rolls of film, 27 pictures on each roll. Four locations were used, Softex Military Camp, Hara Hotel, Eko Camp and an abandoned gas station. The children ranged in age from 2 up to 14 or 15 years of age. Over 40 children participated.
This exhibition for me is about honouring the people and children who find themselves as refugees today, we honour them by taking the time to look and feel, through their eyes, at their life.
Fotos: Jenny Chapman